Borreliose-Leitlinien: Es gibt solche und solche … Teil 4
Unter der Leitung von Ursula Dahlem bringt sich die gesundheitspolitische Arbeitsgruppe von OnLyme-Aktion.org seit Februar 2014 engagiert in die Leitlinien-Arbeit ein. Aktuell wird an einer S2k-Leitlinie zu den Hautmanifestationen der Lyme-Borreliose gearbeitet. Für alle, die vielleicht Fragen zur Bedeutung von medizinischen Leitlinien haben, gibt es hier in einer kleinen Serie Antworten. Siehe auch Teil 1 Teil 2 und Teil 3. Heute beschäftigen wir uns mit der Frage:
Wie hoch ist denn überhaupt die Qualität der medizinischen Leitlinien? Gibt es Unterschiede und wenn ja, welche?
Nach dem System der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) werden Leitlinien in vier Entwicklungsstufen von S1 bis S3 entwickelt und klassifiziert, wobei S3 die höchste Qualitätsstufe der Entwicklungsmethodik ist, sozusagen die Königsklasse. Im Einzelnen:
- S1: von einer Expertengruppe im informellen Konsens erarbeitet
- S2k: eine formale Konsensfindung hat stattgefunden, siehe „Kutane Manifestation der Lyme-Borreliose“
- S2e: eine systematische „Evidenz“-Recherche hat stattgefunden
- S3: Leitlinie mit zusätzlichen/allen Elementen einer systematischen Entwicklung (Logik-, Entscheidungs- und „Outcome“-Analyse, Bewertung der klinischen Relevanz wissenschaftlicher Studien und regelmäßige Überprüfung)
Die Qualität einer S1- oder S2-Leitlinie ist dementsprechend niedriger einzuschätzen als die einer S3-Leitlinie.
Merke: Die überwiegende Mehrheit (knapp 70 %) aller Leitlinien der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften sind nur S1-Leitlinien mit entsprechend geringerer Qualität. Als Patient, der „leitliniengerecht“ gegen eine Krankheit behandelt wird, tut man gut daran, sich einmal zur Qualität der betreffenden Leitlinie schlau zu machen.
Wo liegt denn der Unterschied zwischen einer evidenzbasierten und/oder einer konsensbasierten Leitlinie?
Vorhandene Leitlinien der Stufe 1 werden in einem der bewährten formalen Konsensusverfahren beraten und als Leitlinien der Stufe 2 verabschiedet. Formale Konsensusfindungsmethoden sind z. B. ein nominaler Gruppenprozess, die Delphimethode und Konsensuskonferenzen (an denen OnLyme-Aktion.org z. B. regelmäßig teilnimmt).
Bei einer konsensbasierten Leitlinie handelt es sich um den nach einem definierten, transparent gemachten Vorgehen erzielten Konsens multidisziplinärer Expertengruppen zu bestimmten Vorgehensweisen in der Medizin. Bei einer evidenzbasierten Leitlinie wird explizit die beste verfügbare „Evidenz“ berücksichtigt. Dafür muss die wissenschaftliche Evidenz aus Klinik und Praxis systematisch recherchiert, analysiert und in Evidenzklassen eingeteilt werden.
Vor diesem Hintergrund sollte beachtet werden, dass Empfehlungen in Leitlinien häufig nicht auf einer guten Datenlage aus klinischen Studien, sondern auf Expertenmeinungen oder „Standards of care“ beruhen. Besonders bei fehlenden Belegen aus Studien können sich so die persönlichen Meinungen von Mitgliedern des Expertenkomitees auf die Empfehlungen von Leitlinien auswirken. So werden identische Daten von Experten mit beziehungsweise ohne Interessenkonflikte durchaus gegensätzlich bewertet.
Wer oder was entwickelt die Leitlinien?
In Deutschland werden ärztliche Leitlinien primär meist von den wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (siehe AWMF), der ärztlichen Selbstverwaltung (Bundesärztekammer [BÄK] und Kassenärztliche Bundesvereinigung [KBV] beziehungsweise Bundeszahnärztekammer [BZÄK] und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung [KZBV]) oder von Berufsverbänden entwickelt und verbreitet.
Neben den medizinischen Leitlinien, die in erster Linie für Ärzte erstellt werden, gibt es auch äquivalente Fachinformationen für Patienten, die sogenannten Patientenleitlinien. Auch diese sind für die Hautmanifestationen der Lyme-Borreliose geplant.
Wie wird die Entwicklung einer Leitlinie dokumentiert?
Die Verfahren, Beteiligten, benutzten Materialien, Annahmen, Prämissen und Analysemethoden, mit deren Hilfe Leitlinien entwickelt wurden, sind ebenso exakt zu dokumentieren wie die Verknüpfung der Empfehlungen mit den verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen und eventuelle Zuwendungen von Sponsoren. Die methodische und inhaltliche Arbeit von Leitlinien-Autoren/Erstellern ist sehr umfangreich und verläuft u. U. in verschiedenen Gruppen in z. T. mehrmaligen, aufeinander folgenden Beratungs- und Entscheidungsprozessen. An allen Entscheidungspunkten sind dem späteren Anwender gegenüber Darlegungen erforderlich, um die getroffenen Entscheidungen nachvollziehbar und die Leitlinie letztlich anwendbar zu machen.
Insbesondere bei den Entscheidungen, die zur Aufnahme oder Ablehnung von Empfehlungen führen, ist diese Darlegung von ganz besonderer Bedeutung. Bei einer guten Leitlinie wird die methodische Vorgehensweise in einem Leitlinien-Report (Bericht über Ziele, Beteiligte und Methodik der Leitlinienentwicklung etc.) beschrieben.
In unserer letzten Folge beschäftigen wir uns mit der Frage: Was spricht für Leitlinien und was dagegen?
Genau mein Thema zur Zeit – Solche und Solche. Ein Richter/in möchte sich ungern in medizinische Fachgebiete einarbeiten, was ich verstehe. Er schaltet einen (mehrere) Gutachter ein.
Und so wird dann häufig entschieden:
„Denn in der Vergangenheit sind Fälle bekanntgeworden, in denen Gutachter medizinische Einschätzungen abgegeben hatten, die nicht den Tatsachen entsprachen und im Zweifel zugunsten der Versicherungen ausfielen. Richter müssen sich aber auf die Neutralität der Experten verlassen können, in 97 Prozent der Fälle folgen sie dem Gutachter.“
Aus:
http://www.fr-online.de/politik/gerichte-gutachter-sollen-ihre-interessen-offenlegen,1472596,22778448.html
In meinem letzten, von 6, Gutachten schreibt der Gutachter im Gutachten: Laut der derzeitigen Leitlinie ist diese Art der Behandlung nicht Leitliniengerecht. Was wird das Gericht da denken ?
Ich, denke 6 setzen.
Welche Leitlinie ? Welche Klassifizierung liegt vor ?
Alles findet keine Erklärung, auch nicht im Verzeichnis, am Ende des Gutachtens.
Einen Anwalt, wird es heute nach 16 Uhr geben, der hier in Zukunft besser durchblicken wird.
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Danke für die tolle Berichterstattung.
fischera